09.03.22

Im Dialog: Megatrends

Interview mit Dr. Ulrike Deetjen

UlrikeDeetjen
Dr. Ulrike Deetjen, Wirtschaftsinformatikerin, Partnerin bei McKinsey, Schwerpunkt Ökosystemstrategien und digitale Plattformen

Wir sprechen mit Dr. Ulrike Deetjen über veränderte Kundenbedürfnisse in einer digital und global vernetzten Welt, über neue Geschäftsmodelle und was man bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen falsch und richtig machen kann. 

Katja Suding
Frau Deetjen, Megatrends verändern unsere Welt fundamental und dauerhaft, welche davon sind bei Ihrer Arbeit besonders relevant?

Ulrike Deetjen
Mit meinem Schwerpunkt der digitalen Transformation berate ich unsere Klienten bei ihren Ökosystemstrategien und dem Aufbau digitaler Plattformen – also häufig zu Aspekten, die über das klassische Versicherungs-Kerngeschäft hinausgehen. Mit dem Megatrend Konnektivität habe ich daher täglich zu tun. Für meine Klienten spielen aber auch Gesundheit und Mobilität, zwei weitere Megatrends, eine große Rolle.

Katja Suding
Bleiben wir beim Megatrend Konnektivität. Die Menschen sind heute rund um den Globus digital miteinander vernetzt, und daraus sind komplett neue Kommunikationsstrukturen entstanden. Dadurch ändert sich nicht nur massiv die Art, wie wir leben, es hat auch Einfluss auf unsere Erwartungshaltung im Wirtschaftsleben.

Ulrike Deetjen
Ja, als Endkunden verlangen wir inzwischen ganz selbstverständlich, dass Leistungen, für die wir bezahlen, um unsere wichtigsten Bedürfnisse zu erfüllen, von Mobilität über Gesundheit bis hin zu den Finanzen, komfortabel, nützlich und leicht zu bekommen sind. Außerdem erwarten wir Vertrauenswürdigkeit von den Unternehmen – in den angebotenen Services, in der Nachhaltigkeit der angebotenen Produkte, und natürlich auch im Umgang mit Daten.

Markus Warg
Damit entstehen völlig neuen Geschäftsmodelle. Unternehmen müssen die Bedürfnisse ihrer Kunden immer weiter in den Fokus rücken. Was heißt das genau?

Ulrike Deetjen
Es dreht sich alles um den Kundenkontakt, der entscheidet über Erfolg oder Misserfolg. Je näher ein Unternehmen seinem Kunden ist, je besser es ihn kennt, desto passender kann es im richtigen Moment reagieren und ist nicht auf kostspielige Intermediäre angewiesen. Vereinzelt funktioniert auch der spezialisierte Anbieter, der hocheffiziente White-Label-Lösungen anbietet. Aber irgendetwas dazwischen, also weder Fleisch noch Fisch, wird dagegen kaum erfolgreich sein.

Markus Warg
Wie kann denn der so entscheidende Kundenkontakt am besten hergestellt, ausgebaut und genutzt werden?

Ulrike Deetjen
Interaktion und Partizipation zwischen Kunde, Dienstleistung und Unternehmen, werden am besten auf einer digitalen Plattform orchestriert. Nach definierten Regeln, mit Sicherheit für die entstehenden Daten und der geforderten Convenience.  

Katja Suding
Lassen Sie uns hier konkret werden, anhand des Megatrends Gesundheit. Die Corona-Pandemie hat das Thema sogar noch weiter ins Blickfeld geholt. Digitale Gesundheitsleistungen werden seither deutlich mehr akzeptiert. Was sind die Erfolgsfaktoren für digitale Plattformen, die erfolgreich sein wollen?

Ulrike Deetjen
Es reicht nicht, die Angebote einfach nur zu digitalisieren; sie müssen einen echten Zusatznutzen haben. Ein Beispiel aus der Praxis, wie man es nicht machen sollte: Der Patient benutzt einen digitalen Symptom-Checker. Das Ergebnis trägt er anschließend einem Arzt in einer Telekonsultation vor. Danach bekommt er ein e-Rezept, das er ausdrucken muss, um das Medikament bei einer Apotheke abzuholen. Bei allen drei Schritten muss er seine Daten erneut eingeben. Der Kunde ist genervt und geht beim nächsten Mal lieber wieder in die klassische Sprechstunde, das ist einfacher für ihn. Es kommt darauf an, die Möglichkeiten, die eine Plattform bietet, tatsächlich nutzbar zu machen. Also alle Akteure in den Prozess einzubeziehen, damit ein unmittelbarer Nutzen für den Kunden entsteht. Ohne Medienbruch, ohne umständliche Mehrfach-Eingabe von Daten.

Markus Warg
Muss das Ihrer Ansicht nach so bleiben? Oder wie könnten erfolgreiche und funktionierende Geschäftsmodelle im Gesundheitswesen aussehen?

Ulrike Deetjen
Eine echte Innovation wäre, auf einer Plattform die Aktivitätsdaten von Patienten mit den Ergebnisdaten, die mit der Nutzung der Angebote mit ihren Wertversprechen erzielt werden, zusammenzuführen. Also zum Beispiel zu überprüfen, wie oft jemand ins Krankenhaus muss, der auf eine bestimmte Art und Weise einen digitalen Service genutzt hat. Damit lässt sich bewerten, welche davon wirklich funktionieren. Krankenversicherer sind optimal positioniert, um hier einzusteigen. Sie haben zum einen die Abrechnungsdaten der Leistungserbringer. Und sie verfügen über die finanziellen Mittel, um die nötige Infrastruktur zu schaffen. Schwer tun sie sich allerdings damit, diese IT-Infrastrukturen selbst aufzubauen.

Katja Suding und Markus Warg
Genau da setzen wir als SDA SE an. 

Ulrike Deetjen
In der Tat können Krankenversicherer Unterstützung dabei gebrauchen, Zielbilder und die Zielarchitektur für solche Modelle zu entwickeln. Die Service Dominierte Architektur (SDA) ist dabei eine mögliche Zielarchitektur; für die Umsetzung braucht es dann auch die technologischen Fähigkeiten, die häufig zumindest nicht in der Anzahl und Breite vorhanden sind, wie sie benötigt werden. Und natürlich sollten sich Versicherer auch als Branche stark machen – denn Wettbewerber kommen heute aus ganz verschiedenen Richtungen.    

Katja Suding
Die massiven Veränderungen, die Megatrends wie Konnektivität oder Gesundheit mit sich bringen, sind also Risiko und Chance zugleich?

Ulrike Deetjen
Auf jeden Fall. Wobei ich deutlich mehr Chancen als Risiken sehe. In den Unternehmen existiert bereits viel Erfahrung und großes Know-how im klassischen Datenaustausch im Gesundheitswesen. Und wir haben neue innovative Spieler, die neue Services auf den Markt bringen. Beides muss zusammengeführt werden. Die Entwicklung von Ökosystemen wird durch die Kundenerwartungen aus anderen Branchen getrieben – sie kommt also so oder so. Krankenversicherer sollten darin eine prominente Rolle spielen – und damit voller Zuversicht in die digitale Zukunft fortschreiten. 

Katja Suding und Markus Warg
Das macht Mut, wir danken für das Gespräch.

Ulrike Deetjen
Ich danke Ihnen.

Dieses Interview ist Teil unserer Dialogserie: Megatrends.

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