06.12.22

Chancen der Plattformökonomie: Empfehlungen für deutsche Versicherer

*Mit freundlicher Genehmigung von der Zeitschrift für Versicherungswesen

Die Plattformökonomie ist in vollem Gange. Plattformen als Medium und Ergebnis unseres Handels finden sich in allen Lebensbereichen, egal ob Unterhaltung, Jobsuche, Mobilität oder im Handel. Doch die Chancen der Plattformökonomie zu nutzen gelingt bei weitem nicht immer. Was müssen die Versicherer tun, um hier erfolgreich zu sein? Darüber sprach die Zeitschrift für Versicherungswesen mit Markus Warg, Ideengeber der Service Dominierten Architektur, einem aus der Servicewissenschaft abgeleiteten Bauplan für die Gestaltung von Kooperationen mittels Plattformen und Ökosystemen. Er ist Co-Initiator des Plattform- und Ökosystementwicklers SDA SE und begleitet zahlreiche Projekte in den Bereichen Transformation, Health und Mobility. Die Zeitschrift für Versicherungswesen führte dieses Gespräch, um konkrete Tipps für Versicherungsunternehmen zu erhalten.

Zeitschrift für Versicherungswesen
Zum Einstieg eine Basisfrage, die im allgemeinen Hype um den Begriff etwas untergeht: „Was ist eigentlich die Plattformökonomie?”

Markus Warg
Der Begriff steht für die wachsende Zahl gesellschaftlicher – und wirtschaftlicher Aktivitäten, die von digitalen Plattformen ermöglicht und geprägt werden. Wir befinden uns mitten in einer Umstrukturierung, in der Plattformen offensichtlich eine noch größere Marktmacht entwickeln als Fabriken seit der industriellen Revolution. Während ökonomische Marktanalysen typischerweise unterstellen, dass Käufer und Verkäufer in einem Markt zusammentreffen, wird in der Realität ein großer Teil der Transaktionen über Plattformen als Intermediäre abgewickelt.

Zeitschrift für Versicherungswesen
Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Markus Warg
Beispielsweise die Verkehrsberuhigung von Innenstädten als eine gesellschaftliche Maßnahme im Zuge des Klimaschutzes. Damit gehen auch Chancen einher wie die Mikromobilität. Neue Geschäftsmodelle wie bspw. das plattformbasierte Angebot von E-Scootern, E-Bikes oder E-Mopeds durch die Fa. TIER Mobility SE entstehen.
Auf der Plattform werden alle Fähigkeiten für eine einfache, zugängliche, preiswerte nahtlose und nachhaltige Mobilität gebündelt. Der Service dominiert den Prozess und das Geschäftsmodell. Statt Kaufpreis entstehen im Zuge der Plattformökonomie ganz neue Einnahmequellen wie das Pricing nach gefahrener Strecke oder nach Zeit.

Zeitschrift für Versicherungswesen
Kling alles sehr schön nachhaltig – wie erklären Sie dann die E-Scooter in Wäldern und Flüssen?

Markus Warg
Auch für die Plattformökonomie gilt, dass die Regeln letztlich von der Gesellschaft definiert werden und im plattformbasierten Geschäftsmodell abzubilden sind. Konkret am Beispiel der E-Scooter wird zunehmend mit GPS Sensoren und Fotos sichergestellt, dass diese nur an bestimmten Plätzen abgestellt werden können. Andernfalls lässt sich vom Nutzer die Mietzeit nicht beenden.

Zeitschrift für Versicherungswesen
Das klingt einfach, aber warum tun sich Versicherer so schwer, diese Chancen zu nutzen?

Markus Warg
Um im Bild zu bleiben – Versicherer verhalten sich eher noch wie Fabrikbesitzer: produktdominiert, d.h. fokussiert auf die Produktion und Kalkulation von Produkten. Dabei stets darauf bedacht, ihre Fähigkeiten und Alleinstellungsmerkmale zu schützen und abzuschotten. Peter Drucker hat es perfekt auf den Punkt gebracht: „Die größte Gefahr in Turbulenzen ist nicht die Turbulenz, sondern das Handeln mit der Logik von gestern“. Um den Paradigmenwechsel von der Produkt- zur Servicedominanz zu schaffen müssen sie offen und kooperationsfähig werden.

Zeitschrift für Versicherungswesen
Jetzt wird es spannend. Lassen Sie es uns das nacheinander abarbeiten. Was heißt „offen“ und was „kooperationsfähig“?

Markus Warg
„Offen“ heisst für Versicherer im Zeitalter der Plattformökonomie zunächst die Ableitung ihrer Strategie, Produkte, Lösungen und Services von der Gesellschaft und ihrer Entwicklung kommend zu treffen und nicht „inside – out“. Reed Hastings hat dies als „Leading with Context“ bezeichnet. Diese Offenheit bedingt, fachliche – und technische Marktstandards zu nutzen, um die eigenen Fähigkeiten überall dort in Wertversprechen einbringen zu können, wo es sinnvoll ist.

Zeitschrift für Versicherungswesen
Das ist nachvollziehbar. Kommen wir nun zu „kooperationsfähig“?

Markus Warg
„Kooperationsfähig“ bedeutet im Kontext von Plattformen, dass Fähigkeiten und Regeln geteilt werden können, um gemeinsam Wertversprechen zu erstellen oder anzuwenden.

Zeitschrift für Versicherungswesen
Wie kann ich mir das in der Praxis vorstellen?

Markus Warg
Wie beim Bauen mit Lego. Ausgangspunkt ist eine technische Umgebung in der Cloud. Dann kommt die Plattform – wie die Lego Platte – deren Bauplan es ermöglicht industriegenerische und -spezifische (Lego-) Bausteine zu verwenden.
Für Versicherer ist es wichtig, dies einfach mal zu tun. D.h. diese Umgebung hinzustellen und 1-2 Anwendungsfälle zu bauen. Bereits nach wenigen Wochen wird offensichtlich, wie vorteilhaft die gewonnene Offenheit und Kooperationsfähigkeit für die Gestaltung neuer Wertversprechen ist.

Zeitschrift für Versicherungswesen
Und wie ist das mit den Regeln?

Markus Warg
Erwischt. Da passt das Lego-Beispiel nicht mehr. Da sind die Regeln so vorgegeben wie bei amazon: „take it or leave it“. Ich erachte den Aspekt, die Regeln selbst bestimmen zu können, als einen Hauptgrund, warum Versicherer Plattformen selbst bauen oder mitgestalten sollten.
Die Regeln werden bei Plattformen über Servicekataloge, die wie AppStores funktionieren, gesetzt. Der Servicekatalog definiert, wie die Partner verbunden und koordiniert werden und wer auf welche Fähigkeiten zugreifen darf. Daher ist es wichtig, dass Versicherer in den für sie wesentlichen Domänen wie bspw. Gesundheit zumindest mitbestimmen können.

Zeitschrift für Versicherungswesen
Herr Warg, haben sie wieder einen abschließenden Tipp für Versicherer? Quasi „one for the road”?

Markus Warg
Gerne. Mein Tipp ist, den neuen GDV Präsident Dr. Rollinger, mit der Aussage “Wir verstehen uns als Pate der Transformation” beim Wort zu nehmen. Es ist Zeit für Branchenplattformen, die generischen Services wie die sichere, digitale Identifizierung von Personen einmal bereitzustellen, d.h. Partner wie verimi oder nect einmal anzubinden, so dass es von allen Versicherern x-mal genutzt werden kann.

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