08.04.22

Erfolg in Ökosystemen: Empfehlungen für deutsche Versicherer

*Mit freundlicher Genehmigung von der Zeitschrift für Versicherungswesen

Ökosysteme beherrschen die Schlagzeilen. Sie ermöglichen viel Neues: neue Wertversprechen, neue Kundenerlebnisse, neue Partnerschaften, nahtlose Vernetzung und vieles mehr. Doch die Teilnahme an Ökosystemen gelingt bei weitem nicht immer. Was müssen die Versicherer tun, um hier erfolgreich zu sein? Darüber sprach die Zeitschrift für Versicherungswesen mit Markus Warg, Ideengeber der Service Dominierten Architektur, einem aus der Servicewissenschaft abgeleiteten Bauplan für die Gestaltung von Kooperationen mittels Plattformen und Ökosystemen. Er ist Co-Initiator des Plattform- und Ökosystementwicklers SDA SE und begleitet zahlreiche Projekte in den Bereichen Transformation, Health und Mobility. Wir führten dieses Gespräch, um nach fünf Jahren in dieser Funktion nach seinen Erfahrungen zu fragen und um konkrete Tipps für Versicherungsunternehmen zu erhalten.

Zeitschrift für Versicherungswesen
Zum Einstig eine Basisfrage, die im allgemeinen Hype um den Begriff etwas untergeht: Was ist eigentlich ein Ökosystem?

Markus Warg
Eine Struktur, in der Partner kooperieren, d.h. Fähigkeiten und Regeln teilen, um Wertversprechen zu erstellen und anzuwenden.

Zeitschrift für Versicherungswesen
Das klingt einfach, aber warum tun sich Versicherer so schwer, diese Chancen zu nutzen?

Markus Warg
Ökosysteme leben von der Offenheit und von multilateralen Partnerschaften. Versicherer sind das nicht gewohnt. Es braucht ein anderes Mindset, andere Arbeitsweisen und andere Technologien.

Zeitschrift für Versicherungswesen
Jetzt wird es spannend. Lassen Sie uns das nacheinander abarbeiten. Was heißt „ein anderes Mindset“?

Markus Warg
Versicherer sind im Kern oft noch produktdominiert. D.h. sie sind gewohnt, ein Produkt zu bauen, dass der Kunde gegen Geld erwirbt. Etwa 2004 hatte Netflix als DVD-Verleiher riesige Probleme, weil niemand mehr einen Film als Produkt DVD haben wollte. Netflix hat dann von der Produktdominanz auf die Servicedominanz umgeschaltet. Der Kunde erhält bei diesen servicedominierten Wertversprechen nicht nur den Film, sondern wird bei der Nutzung über den gesamten Prozess begleitet. Im Gegenzug ist der Kunde bereit, permanent mit Netflix zu interagieren. Die für dieses Wertversprechen benötigten Fähigkeiten erhält Netflix auch durch Kooperationen mit Technologiepartnern, KI-Anbietern und anderen. Dieses Mindset hin zur Servicedominanz entwickelt sich gerade bei vielen Versicherern.

Zeitschrift für Versicherungswesen
Kommen wir nun zu den „anderen Arbeitsweisen“, ohne die es nicht geht.

Markus Warg
„Working Backwards“ von Amazon oder „OKR“ (Objectives and Key Results) von Google sind Beispiele für agile Arbeitsweisen. Dabei steht die Entwicklung des Wertversprechens als Prozess, bei dem der Kunde durchgängig hohen Gebrauchsnutzen erhält, im Fokus. Ausgehend vom gewünschten Kundenerlebnis werden die benötigten Fähigkeiten identifiziert und das Wertversprechen schrittweise mit den Kunden validiert. Die Fähigkeiten werden dann über Kooperationen erschlossen und Schritt für Schritt auf Plattformen aufgebaut.

Zeitschrift für Versicherungswesen
Und dafür reichen die bestehenden Technologien nicht aus?

Markus Warg
Dieses Mindset und die agilen Arbeitsweisen werden 1:1 in der IT benötigt. Agile Softwareentwicklung (Scrum o.Ä.), Microservices, Container-Technologien und Open Source ermöglichen Modalität, die Wiederverwendung von Fähigkeiten („Packaged Business Capabilities“) und die erforderliche Geschwindigkeit.

Zeitschrift für Versicherungswesen
Und was ist mit Daten?

Markus Warg
Eine Bastion der Bewahrer die bald fallen wird.

Zeitschrift für Versicherungswesen
Geht es etwas konkreter?

Markus Warg
Gern. Cloud-Technologien ermöglichen es, eigene technische Umgebungen (Instanzen) nach Bedarf bereitzustellen. D.h. die Algorithmen und die KI kommen zu den Daten und nicht umgekehrt. Solche Instanzen liegen preislich im unteren 5-stelligen Euro-Bereich. Gleichzeitig stellen Plattform- und Ökosystementwickler wie die SDA SE baukastenartig Funktionen wie „Consent Stacks“ zur Verfügung, die in Echtzeit die Zustimmung der Kunden zur Nutzung ihrer Daten in einem konkreten Kontext ermöglichen.

Zeitschrift für Versicherungswesen
Welche erfolgsversprechenden Ökosystem-Ansätze beobachten Sie heute im deutschen Markt?

Markus Warg
Beispielsweise die Kooperationen von HUK, LVM und HDI beim Aufbau der onpier Plattform. Die hohe Geschwindigkeit, mit der bereits zu Beginn der Initiative Anwendungsfälle aus dem Bereich Mobility wie der Autoankauf oder der Zulassungsservice umgesetzt werden, bestätigt den Weg.

Zeitschrift für Versicherungswesen
Herr Warg, haben Sie noch einen abschließenden Tipp für Versicherer? Quasi „one for the road“?

Markus Warg
Versicherer sollten auf jeden Fall mit einem Minimum Viable Ökosystem (MVÖ) starten. Der Anspruch vieler Versicherer ist es, sofort die ganze Industrie zu prägen und ein zweites Amazon zu werden. Ein MVÖ dient dazu, genau die Fähigkeiten für ein neues Wertversprechen aufzubauen. Dabei besteht die Zielsetzung darin, das Wertversprechen so attraktiv zu gestalten, das weitere Partner sich ebenfalls engagieren wollen. Die Chance beim MVÖ liegt im Machen, Lernen und Zeigen. Die Kosten, um einen cloudbasierten Prototyp eines MVÖ hinzustellen, liegen im mittleren 5-stelligen Euro-Bereich. Partner wie Startups etwa im Health-Umfeld mit Lösungen zur Schlaganfallprävention oder Symptomchecker oder Telemedizin oder oder oder stehen jedenfalls bereit.