20.05.22

Im Dialog: Megatrends

Interview mit Dr. Christian Bielefeld

Dr.ChristianBielefeld
Dr. Christian Bielefeld,
Jurist, Mitglied der Vorstände der SIGNAL IDUNA

Wir sprechen mit Dr. Christian Bielefeld, Mitglied der Vorstände der SIGNAL IDUNA. Er erklärt uns, wie die Digitalisierung das Versicherungsgeschäft auf den Kopf stellt, warum Daten für sein Unternehmen so wichtig sind, aber gleichzeitig eine Herausforderung darstellen, und dass 1 + 1 auch mal mehr als 2 sein kann.

Katja Suding
Sie verantworten als IT-Vorstand die digitale Transformation eines großen Versicherungsunternehmens. Welche der Megatrends führen bei Ihrer täglichen Arbeit zu den größten Veränderungen und was bedeutet das für Sie?

Christian Bielefeld
Der erste für uns sehr bedeutsame Megatrend ist die Individualisierung. Es ist ein Grundbedürfnis des Menschen, nicht als einer von vielen angesprochen zu werden, sondern individuell in seiner jeweiligen Lebenssituation und mit seinen eigenen speziellen Bedürfnissen. Wir denken nicht mehr im klassischen Standard-Produkt, sondern gehen von den individuellen Kundenbedürfnissen aus, bewegen uns also von der Produkt- zur Service-Dominanz. Weg vom klassischen Produktvertrieb, der ein Produkt entwickelt und dann eine Kundin oder einen Kunden sucht, der es auch kaufen will. Hin zur Idee, dass man vom Kundenbedürfnis ausgehend fragt, was aus ihrer Sicht dafür der optimale Service oder Prozess ist. Das Kundenbedürfnis von heute wird geprägt von Amazon, Google und Facebook, die es schaffen, Individualisierung und Convenience zu ermöglichen. An diesem Standard müssen wir uns auch als Versicherung orientieren und deshalb tauchen wir in die Lebenswelten unserer Kundinnen und Kunden ein, um ihre Bedürfnisse zu erkennen und zu befriedigen. Wir brechen die klassische Wertschöpfungskette auf, in der wir von Anfang bis Ende alles machen, und kooperieren  stärker mit anderen Versicherern, aber auch mit Service-Dienstleistern außerhalb unserer Branche. Ein anderer Megatrend, mit dem wie als Versicherer täglich zu tun haben, ist Gesundheit. Der Kern unserer Strategie bei der Signal Iduna heißt: “Gemeinsam mehr Lebensqualität schaffen”. Teil dieses Leitgedankens ist, uns noch viel stärker als Begleiter für mehr Gesundheit zu engagieren. Dazu bieten wir digitale Services, die es unseren Kunden ermöglichen, die Gesundheit zu bewahren, zu pflegen und zu fördern.

Katja Suding
Die Versicherungswirtschaft ist eine Branche, die bisher weniger als manch andere den Digitalisierungsdruck gespürt hat. Sie haben aber früh erkannt, dass die Digitalisierung dennoch umwälzende Veränderungen für Ihr Geschäft mit sich bringen wird. Wie stellen Sie sich darauf ein?

Christian Bielefeld
Stimmt, auch der Megatrend Digitalisierung beschäftigt uns. Sie bringt ein stärkeres Informationsgleichgewicht. Früher war es fast unmöglich, eine Versicherung zu verstehen, man musste sich auf seine Versicherungsagentur verlassen und komplett vertrauen. Heutzutage sind die Themen über Online-Vergleichsplattformen derart aufbereitet und transparent, dass wir eine ganz anders informierte Kundschaft haben als früher. Im Einkaufsverhalten gibt es den ROPO-Trend („research online, purchase offline“). Nach wie gibt es in den meisten Versicherungssparten noch relativ wenig Online-Abschlüsse, weil häufig im Moment des Abschlusses dann das Vertrauen fehlt und doch der persönliche Kontakt gesucht wird. Aber die Informationsbeschaffung ist eine ganz andere als vor wenigen Jahren.

Die Corona-Pandemie hat uns einen unglaublichen Schub für die Digitalisierung gegeben. Inzwischen verstehen die Versicherungsagenturen die hohe Bedeutung digitaler Daten sehr gut. Sie haben gelernt, welch große Rolle die Interaktion in sozialen Medien, die Nutzung von Datensystemen und Remote-Beratungstools für das normale Agenturleben spielen. Früher setzte man sich ins Auto und fuhr zum Kunden, heute geht es auch über Remote-Tools. Heute erkennen die Agenturen, wie man Prozess effizient digital abbildet und sehen darin viele Mehrwerte für sich, für ihren Agenturbetrieb, auch damit mehr Zeit für die persönliche Beratung bleibt.

Markus Warg
Sie gehen den Weg der digitalen Transformation über personalisierte Kundenerlebnisse. Welche Rolle spielt die IT des Versicherers dabei?

Christian Bielefeld
Wir sind ein datengetriebenes Unternehmen. In unserem Geschäft geht es ganz wesentlich um Daten und Datenverfügbarkeit, natürlich im Rahmen der in Deutschland sehr strengen Datenschutzvorschriften. Um Kundinnen und Kunden so individuell zu bedienen, wie sie es verlangen und auch brauchen, muss unsere IT die schnelle Verfügbarkeit und die Verknüpfung der Daten für alle Kunden-Touchpoints gewährleisten.

Katja Suding
Auf welche Herausforderungen treffen Sie dabei? Was müssen Sie als traditioneller Versicherer lernen, was können Sie schon?

Christian Bielefeld
Als Versicherer waren wir die ersten Datenverarbeiter der Welt, dementsprechend heterogen, komplex und teils auch alt ist unsere IT-Infrastruktur und bedarf der weiteren technologischen Transformation.

Wir verfügen aber andererseits auch über eine sehr enge vertrauensvolle Kundenschnittstelle, die wir über unsere Agenturen im Außendienst persönlich besetzen. Jetzt müssen wir beides verknüpfen, das Datenwissen aus den zentralen Datensystemen und unserer Kunden-Know-how. Es geht also darum, eine digitale Agentur zu schaffen, die eine enge persönliche Kundenbeziehung pflegt und gleichzeitig die digitalisierten Daten in den Mittelpunkt stellt.

Markus Warg
Welche Rolle spielen dabei Kooperationen mit externen Partnern?

Christian Bielefeld
Den Wandel der Produkt- zur Servicedominanz können wir nicht allein bewältigen, weder technologisch noch finanziell. Wir sind darauf angewiesen, Netzwerke zu bilden, sowohl unter den Versicherern, wie das zum Beispiel durch die Beteiligung unterschiedlicher Versicherungsunternehmen an der SDA SE geschieht. Aber wir müssen uns auch mit anderen Dienstleistern zusammentun. Hier kommt die SDA SE ins Spiel, sie ist unser Tor zur Außenwelt. Mit der SDA haben wir die Architektur und die Technologie, die es uns ermöglichen, mit anderen Marktteilnehmern gemeinsam Lösungen zu gestalten und attraktiver für unsere Kunden zu werden. Dazu kommt die Chance, in Zusammenarbeit mit anderen Partnern wie Versicherern Schnelligkeit zu gewinnen und Kosten gemeinsam zu tragen.

Katja Suding
Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Partner aus?

Christian Bielefeld
Das ist in erster Linie eine Frage von Mindset und Kultur. Wichtig ist, dass die Partner die Idee der Kundenzentrierung verstehen. Außerdem müssen die Partnerunternehmen aus der Sicht der Kunden einen echten Mehrwert bieten. Der gemeinsame Marktauftritt muss mehr sein als nur die Summe von einzelnen Aktivitäten, sie müssen einen weiteren Mehrwert bieten. Also, 1 + 1 sollte also mehr als 2 sein. Das ist für das Thema Kundenbindung entscheidend.

Katja Suding
Und damit sind wir bei Plattformen und Ökosysteme, oder?

Christian Bielefeld
Plattformen und Ökosysteme sind der klare Weg der Zukunft. Da sind die technischen Plattformen, auf denen wir, wie bei der SDA SE, gemeinsam Standards erarbeiten, und gemeinsam attraktiv für andere Partner werden. Und es gibt die Ökosysteme, auf denen wir die Summe einzelner Leistungen zu einem Paket schnüren, mit echten Mehrwerten für unsere Kundinnen und Kunden. Es geht also darum,Ressourcen so zu bündeln und zu orchestrieren, so dass wir über alle Sparten der SIGNAL IDUNA hinweg mehr Lebensqualität schaffen gemäß unserer übergreifenden Strategie. Im Gegensatz zu den beschriebenen Altsystemen in der Versicherungswirtschaft bietet die SDA SE eine hochmoderne Technologie. Nach dem Modell von „Legoplatten“ nutzen wir zum einen verschiedene Basis-Services gemeinsam mit entsprechenden Ressourcen- und Kostenteilungseffekten. Gleichzeitig können wir auf den Platten weitere Features und Bausteine wie bei „Lego“ so aufbauen, dass wir hier individuell unsere Vorstellungen umsetzen können, die wir idealerweise vorher mit den Kundinnen und Kunden gemeinsam erarbeitet haben. Wir finden also eine sehr gute Mischung aus gemeinsam nutzbaren Basisservices und individuellen Wettbewerbsvorteilen.    

Katja Suding
Wie unterstützt Sie die SDA-Plattform bei der Integration von Partnern?

Christian Bielefeld
Die SDA-Plattform liefert Schnittstellen, über die wir Drittanbieter am Markt technisch einfach und nach Standards anbinden. Und das hat zwei entscheidende Effekte: Wir vermeiden sog. Lock-In-Effekte, also Abhängigkeitsverhältnisse von einem Anbieter. Und die SDA ist eine der ganz wenigen Plattformen, die nicht die Kundenschnittstelle für sich in Anspruch nimmt, unser direkter Kundenkontakt also gewahrt bleibt. Anders als bei anderen Plattformen, wie Check24 oder Amazon, die ihren eigenen Markennamen in den Vordergrund stellen und selbst als Partner für die Kundinnen und Kunden auftreten, ist die Philosophie der SDA SE, die Kunden zu befähigen und ihnen die technologische Basis zur Verfügung zu stellen. Die Kundenschnittstelle bleibt uns erhalten und trotzdem können wir über Partner weitere Mehrwerte sowohl der beteiligten Partnerunternehmen als auch von Drittanbietern integrieren. Die SDA-Plattform macht es uns also möglich, gemeinsam mit anderen Partnerunternehmen Wertversprechen zu erstellen und so die Lebensqualität unsere Kundinnen und Kunden gemeinsam mit ihnen zu erhöhen.

Katja Suding und Markus Warg
Wir danken für das Gespräch!

Dieses Interview ist Teil unserer Dialogserie: Megatrends.

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